Inklusion von Minderheiten – mit Bildung in eine bessere Zukunft
Die Sonnenblumen vom Kosovo
Junge Menschen. Viele junge Menschen. Mein erstes Bild von Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, ist nicht geprägt von den vielen nicht-fertiggestellten oder unverputzten Häusern oder den vielen Baustellen, sondern von jungen Menschen. „Wusstest ihr, dass über die Hälfte der Bevölkerung im Kosovo jünger als 25 Jahre ist?“, fragt uns – meine Kollegin Joanna Kinberger und mich - Muhamet Arifi.
Muhamet kennt die Zahlen genau. Er ist Direktor von Balkan Sunflowers. Die Brot für die Welt-Partnerorganisation engagiert sich seit 2003 mit Bildungsprogrammen für Kinder und Jugendliche aus Minderheiten im Kosovo. In fünf Lernzentren rund um die Hauptstadt Pristina werden täglich rund 600 Kinder betreut – viele davon aus Roma-, Ashkali- oder Ägyperfamilien. Ist die generelle Arbeitslosigkeit im Kosovo aufgrund der niedrigen Wirtschaftskraft mit rund 30% schon sehr hoch, so liegt sie unter den Angehörigen von Minderheiten bei 90% - 95%. Schlecht ausgebildet und mit geringen Chancen auf Arbeit führen viele Familien ein Leben am Rande der Gesellschaft. Staatliche Unterstützung fehlt. Oft führt kein Weg aus der Armut. Ein Teufelskreis.
Diesen versucht Balkan Sunflowers zu durchbrechen. Mit Bildung. Denn Bildung gilt als Schlüssel im Kampf gegen Armut.
In welche Schicht gehst du?
Das größte Lernzentrum befindet sich in Fushe Kosovo, nur wenige Kilometer außerhalb von Pristina. Alles fing mit gespendeten Containern aus Griechenland an. Adaptiert und zusammengebaut bilden sie seit 2008 das Hauptgebäude des Zentrums. Weil der Andrang der Kinder so groß war wurde das Zentrum bald erweitert. Mittlerweile umfasst es drei Gebäude. 300 Kinder zwischen 5 und 15 Jahren besuchen das Lernzentrum täglich – in drei Schichten. Denn anders als zum Beispiel in Österreich findet der Schulunterricht im Kosovo in Schichten statt. Vormittags und nachmittags. Die fehlende Infrastruktur und ein Mangel an Lehrpersonal machen dies notwendig, erklärt Muhamet. „Jedes Lernzentrum arbeitet mit einer oder mehreren Schulen zusammen. Die Kinder kommen daher zu unterschiedlichen Zeiten ins Lernzentrum, entweder vor oder nach der Schule.“
Dort wird ihnen bei den Hausaufgaben geholfen, Nachhilfe gegeben und Sprachförderung in Albanisch oder Serbisch angeboten. Vorschulgruppen helfen Kindern beim Einstieg in die Schule und Jugendliche werden auf ihre Prüfungen für höhere Schulen vorbereitet. Für junge Mädchen, die trotz allgemeiner Schulpflicht aus familiären Gründen die Schule nicht besucht haben, gibt es zusätzlich Alphabetisierungskurse. Es gibt Projektwochen, Theatergruppen und in den Sommerferien ein mehrwöchiges Sommercamp.
Ein Role Model für Kinder
Das Herzstück jedes Lernzentrums bilden die sogenannten Tutorinnen und Tutoren, meist ältere Schülerinnen und Schüler oder Studierende. Sie leiten die vielen verschiedenen Gruppen mit jeweils 4-6 Kindern. Sie arbeiten ehrenamtlich. Für die 3-4 Stunden tägliche Arbeit erhalten sie ein kleines Taschengeld – doch den meisten geht es um mehr.
Veton, 19 Jahre, ist einer von ihnen. Er war selber früher oft im Lernzentrum und engagiert sich seit ein paar Jahren als Tutor. „Wir sind Vorbilder für die Kinder. Das macht mich stolz. Durch meine Arbeit als Tutor kann ich aber nicht nur den Kindern helfen. Auch ich hab mich dadurch stark weiterentwickelt. Wir erhalten gratis Schulmaterial und nehmen an verschiedenen Trainings und Workshops teil. Das hat mich selbstbewusster gemacht und meine eigenen Schulleistungen verbessert. Es ist schön, die Kinder ein Stück ihres Weges zu begleiten, sie zu unterstützen und zu sehen, wie sie sich entwickeln. Sie sind wie Familie für mich.“
Kleine Samen – große Wirkung
Stolz auf das, was bisher erreicht wurde ist auch Rrahmon Stollaku, Leiter des Lernzentrums in Fushe Kosovo. „Als wir unsere Arbeit hier 2008 aufgenommen haben, war die Ausgangslage sehr schwierig. Nur sehr wenige Kinder aus Ashkali-, Roma- oder Ägypterfamilien haben die Schule besucht. Und die, die sie besucht haben, haben wieder sehr bald abgebrochen – trotz Schulpflicht. Jetzt fast zehn Jahre später hat sich der Anteil der Schülerinnen und Schüler aus Minderheiten verdreifacht. Die Abbruchrate ist auf beinahe Null gesunken. Viele gehen weiter in höhere Schulen und wir haben jetzt sogar 40 Studierende an Universitäten.“
Gelungen ist dies vor allem auch durch die enge Zusammenarbeit mit den Schulen aus denen die Kinder kommen, die das Lernzentrum besuchen. Rrahmon und sein Team tauschen sich regelmäßig mit den Lehrerinnen und Lehrern über die Entwicklung der Kinder aus und stimmen sich ab. Auch die Einbindung der lokalen Kommunen, Sozialzentren und der zuständigen Behörden gelten als Erfolgsfaktor.
Der Kontakt zu den Eltern sei aber besonders wichtig, verrät Rrahmon. Fehlt ein Kind längere Zeit, hat schulische oder private Probleme oder wird nicht zur Schule angemeldet werden die Eltern von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Balkan Sunfflowers besucht und ihnen Hilfe angeboten. Zusätzlich werden ein bis zwei Mal pro Monat Elternabende organisiert. „Viele Eltern der Kinder haben einen sehr niedrigen Bildungsgrad“, erklärt Rrahmon. „Wir wollen die Eltern mit ins Boot holen, sie in unsere Arbeit und Aktivitäten einbinden und ihnen die Wichtigkeit einer guten Ausbildung vermitteln. Denn eine gute Ausbildung bedeutet bessere Zukunftsperspektiven. Gelingt uns dass, schicken sie die Kinder gerne zu uns. Denn alle Eltern wollen, dass es ihren Kindern einmal gut geht.“
Unterstützen Sie Inklusive Bildung im Kosovo
- Mehr Informationen zum Projekt: www.brot-fuer-die-welt.at