Leben lernen ab Hof in Strengberg

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21. Juli 2018
Hannelore Kleiß nach einem Gespräch mit Thomas Kitzmüller, Leiter der Intensivpädagogischen Burschenwohngruppe Strengberg

Ohne Navi ist der große Hof, in dem die „Intensivpädagogische Burschenwohngruppe Strengberg“ untergebracht ist, nicht leicht zu finden. Wer hier ankommt, dem eröffnet sich ein weiter Blick in die hügelige Landschaft des Mostviertels. Der Hof mit seinen 45 x 45 Metern ist riesig. Einen großen Teil davon, nämlich 600 m², nutzt die WG. 7 Burschen im Alter von 12 bis 18 Jahren werden hier betreut. Heuer feiert die WG ihr 20-jähriges Bestehen.

Betritt man das große Vorhaus, zeigt eine bunte Fotowand die Bewohner dieses Hauses bei gemeinsamen Urlauben. Die Burschen sind unterschiedlich groß und alle in Aktion: Beim Bootfahren oder Felsenspringen, am Lagerfeuer, im Zelt ... „Was die Jungs gemeinsam haben, ist, dass sie im Vorfeld kaum gelernt haben, mit Grenzen umzugehen. Sie haben entweder keinen Halt erlebt oder sind sozial verwahrlost aufgewachsen“, beschreibt Thomas Kitzmüller. Er leitet und prägt die Einrichtung seit 18 Jahren. Es ist sehr ruhig im Haus, dessen Weite und Ordnung sich durch das ganze Gebäude zieht: die Küche, das Wohnzimmer, die Zimmer der Burschen, der Besprechungsraum, die Lagerräume. Platznot gibt es hier nicht. „Die Not ist im Inneren der Burschen. Sie sind auf der Suche nach Halt, nach Sicherheit, nach sich selbst.“

Die Not ist im Inneren der Burschen. Sie sind auf der Suche nach Halt, nach Sicherheit, nach sich selbst.

Thomas Kitzmüller

Die Pädagog:nnen sind für sie die Orientierungspfeiler im Alltag, was z.B. die Tagesstruktur, den Haushalt und den Umgang miteinander betrifft. „Die Burschen sind gerade in der Schule, die sich ebenfalls am Hof befindet. Hier wird eigens für die Jugendlichen eine ausgelagerte Schulklasse des Sonderpädagogischen Zentrums Haag geführt. Viele Einrichtungen und Direktoren beneiden uns um diese Möglichkeit“. Die Schule nimmt einen sehr wichtigen Teil im Leben der Jugendlichen ein. Der „Kompetenzen-Plan Schule“ auf der Wohnzimmertür mit den Namen der Burschen zeigt, was alles zum Schulalltag dazugehört: Pünktlich aufstehen, Körperpflege, Aufräumen des Zimmers, der Gang zum Frühstück, aber auch das Merken der Hausübungen, die Hausübungen selber oder das Packen der Schultasche für den nächsten Tag.

„Wer in welchem Bereich Hilfe braucht, machen wir hier sichtbar – für uns BetreuerInnen und für die Jugendlichen. Wer es z.B. noch nicht schafft, selber mit dem Wecker aufzustehen, wird von uns geweckt. Wer Schwierigkeiten hat, die Schultasche eigenständig zu packen, wird dabei unterstützt usw.“

Auffallend groß und aufgeräumt sind die Zimmer der Burschen. Jeder hat sein eigenes Reich mit sehr persönlichen Gegenständen. Manche haben auch einen Computer im Zimmer.

Schule, Haushalt und Soziales Lernen

Die Schule, das Soziale Lernen und das Haushaltsmanagement nennt Thomas als die drei wichtigen Säulen der pädagogischen Arbeit. „Wir kochen hier selber, putzen das Haus, pflegen den 6.500 m² großen Garten. Über die Gestaltung des Alltags, vermitteln wir Umgangsformen und lebenspraktische Fähigkeiten, z.B. beim Zimmer aufräumen, Wohnzimmer putzen, Einkaufen fürs Abendessen usw.“

Auch das Wort genießen fällt öfter in seinen Beschreibungen. Etwa, wenn er zum liebevoll angelegten Gemüsegarten im Innenhof führt. Jeder Jugendliche darf sich aussuchen, was er gerne pflanzen und später ernten möchte. Daniel mag gern Erbsen, Connor lieber Erdbeeren und Leon steht auf Kohlrabi.
Die schwerste Arbeit ist die am wenigsten greifbare: Das Soziale Lernen, der Umgang mit sich selbst und mit anderen.

Das Bewusstsein für die eigene Identität und die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit gehen Hand in Hand mit dem Bewusstsein fürs Ganze. So kann Leben lernen gelingen.

Thomas Kitzmüller

Diese Feinarbeit ist hier ebenso klar und kreativ organisiert wie der Koch- und Putzplan oder das Schulmanagement. Jeder Bursche wird dabei begleitet, sein im Moment wichtigstes Ziel zu formulieren. Diese Ziele sind sehr individuell und bunt gestaltet auf einer Wand im großen Wohnzimmer zu sehen. „Jeden Abend gibt es einen Austausch in der Peergruppen-Runde darüber, wie es an diesem Tag gelungen ist, diesem Ziel näher zu kommen und was nicht so gelungen ist. Es ist ein Weg der kleinen Schritte. Auch die Burschen geben einander wichtiges Feedback unter Gleichaltrigen – in ihrer eigenen Sprachform, nicht immer im PädagogInnen- Deutsch, aber das ist ebenfalls Teil des Lernprozesses.“

Jeder Bursche wird dabei begleitet, sein im Moment wichtigstes Ziel zu formulieren. Diese Ziele sind sehr individuell und bunt gestaltet auf einer Wand im großen Wohnzimmer zu sehen.

Gemeinsam leben lernen

Ein Team aus 5 SozialpädagogInnen betreut die Jugendlichen. Ein Zivildiener ist ebenfalls im Einsatz. 2 Personen werden derzeit gesucht. Thomas Kitzmüller zum Alltag in der WG: „Jedes Teammitglied packt bei uns viel selber an. Anders geht das nicht und anders wollen wir das auch nicht! Wir haben keine Haushälterin und keine Reinigungskraft. Ohne die Mithilfe jedes und jeder Einzelnen würde das hier nicht funktionieren.“

Auch damit vermitteln die PädagogInnen unausgesprochen eine ihrer Leitlinien: „Das Zusammenleben gelingt, wenn jede/r sich einbringt und etwas leistet für die Gemeinschaft. Manche Dinge sind einfach zu tun, egal ob wir gerade Lust haben oder nicht. Das Bewusstsein für die eigene Identität und die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit gehen Hand in Hand mit dem Bewusstsein fürs Ganze. So kann Leben lernen gelingen.“