Von Gott und der Welt
Einsame Sünder
Der Begriff der Sünde scheint zur Verkleinerungsform einer strafbaren Handlung geworden zu sein. Ganz unschuldig sind die Kirchen an dieser Entwicklung wohl nicht, wurde der Begriff der Sünde doch oft ausschließlich mit der moralischen oder weniger moralischen Lebensführung des Einzelnen verknüpft und damit banalisiert.
Der Reformator Martin Luther hat die Sünde noch anders beschrieben. Der sündige Mensch sei ein
Einer, der so verkrümmt sei, dass er nur meine seinen eigenen Nabel anschauen könne. Einer, dessen Welt nur mehr um ihn selbst kreise und der die anderen um ihn herum nicht mehr wahrnehmen könne. Martin Luther beschreibt den Sünder als einen, der nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist.
Dieses Bild vom Menschen, das Luther noch als Zerrbild und als Sünde gesehen hat, ist heute zum normalen Bild des Menschen geworden. Wenn jeder zu jedem in Konkurrenz steht und auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, dann fördert das den Wettbewerb und somit die Wirtschaft, haben wir gelernt. Doch wenn alle nur mehr auf sich schauen, ihren eigenen Nabel betrachten und dem eigenen Vorteil nachjagen, dann wird das Leben auch verdammt einsam, wenn wir schon nicht von sündig reden wollen.
„Von Gott und der Welt", die Kolumne von Michael Chalupka, erscheint jeden Samstag in der Kronenzeitung.