Demenzcafe: Beratung bei einer Tasse Kaffee

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10. September 2019
In letzter Zeit vergisst der Vater im Restaurant immer wieder die Rechnung zu begleichen. Wird er darauf angesprochen, reagiert er streitbar. Ist das schon Demenz?

Das traditionsreiche Café Kaiserfeld in der Grazer Innenstadt: Ein Plakat im Eingangsbereich kündigt „Leben mit Demenz | Beratung im Café“ an.
Beim Eintreten denkt Martin Huber an seinen 75jährigen Vater: In letzter Zeit vergisst er im Restaurant immer wieder die Rechnung zu begleichen. Wird er darauf angesprochen, reagiert der Vater streitbar und behauptet, längst gezahlt zu haben

Ist das schon Demenz, fragt sich Martin Huber, und wie spreche ich das Thema bei meinem Vater an?

Im Café Kaiserfeld warten Ingrid Ferstl und Miša Strobl von der Tagesbetreuung für Menschen mit Demenz. Zwei Damen mittleren Alters nehmen zeitgleich mit Herrn Huber Platz. Nachdem alle mit Kaffee versorgt sind, beginnen die Damen zu erzählen: Von der Mutter, die kürzlich eine Demenz-Diagnose erhalten hat, in einem anderen Bundesland lebt und keine fremde Hilfe annehmen will.

„Versuchen Sie, so gut als möglich das Netzwerk der Nachbarinnen um die Mutter herum zu stärken“, rät Ingrid Ferstl.

Eine Diskussion um Selbstbestimmung von Menschen mit Demenz entsteht. Martin Huber fragt nach: „Wie haben Sie Ihre Mutter davon überzeugt, zum Arzt zu gehen?“
Beratung im Café ist für Interessierte leicht zu erreichen. In einem ungezwungenen Ambiente wie im Café kommt man leicht ins Reden. In den Gesprächen ergeben sich oft schon erste Lösungsansätze.

Viele Angehörige suchen erst nach Hilfe, wenn sie am Ende ihrer Kräfte sind

Eines stellt Ingrid Ferstl klar: Fertige Lösungen gibt es nicht. Der Vater von Herrn Huber weigert sich, zu einem Arzt zu gehen. „Vielleicht hilft es, statt zum Arzt einfach mit ihm in ein Beratungszentrum zu gehen. Wichtig ist jedenfalls, gegenüber dem Vater immer offen zu sein: Dass Sie sich Sorgen machen, dass er Demenz hat. Der Vater muss aber immer das Gefühl haben, er kann selbst entscheiden.“

Warum hat das Diakoniewerk Steiermark dieses Angebot ins Leben gerufen?

„Wir wollen Angehörige und Betroffene früh erreichen und Orientierung geben“, erklärt Ingrid Ferstl. Zwischen dem ersten Verdacht, der Diagnose und der konkreten Hilfeleistung vergeht oft wertvolle Zeit, in der längst individuelle Unterstützung angeboten hätte werden können. „Viele Angehörige suchen erst dann Hilfe, wenn sie am Ende ihrer Kräfte sind“, ergänzt Miša Strobl.

Im Laufe des Nachmittags nehmen noch viele Gäste bei Ingrid Ferstl und Miša Strobl Platz. Die Gespräche drehen sich um Gedächtnistraining, Fachärzte, Möglichkeiten der Entlastung und Selbsthilfegruppen. Ein älterer Herr meint, selbst an Demenz erkrankt zu sein. Miša Strobl empfiehlt die weiteren Schritte für die Abklärung, der Herr lässt sich seinen Kaffee schmecken.

Die Gespräche am Kaffeehaustisch erreichen schnell eine vertrauensvolle Tiefe: „Die Menschen, die zu uns kommen, brauchen keine Namen oder Befunde preis zu geben. Die Hemmschwelle, über die Erkrankung zu reden, können wir in diesem Setting viel besser überwinden“, freut sich Strobl.

Vertrauensbasis ausbauen

Wenn die Interessenten möchten, können sie in den nächsten Wochen ein längeres Beratungsgespräch mit Ingrid Ferstl vereinbaren, zuhause oder in der Tagesbetreuung. Ein Ziel der „Beratung im Café“ ist es, eine Vertrauensbasis für später zu schaffen, wenn die Erkrankung intensiver wird. „Die Menschen wissen dann, an wen sie sich wenden können und lernen auch die Tagesbetreuung kennen“, erklärt Ingrid Ferstl. 
Nach drei Stunden im Café Kaiserfeld zieht Martin Huber Bilanz: „Es war sehr interessant zu erfahren, dass es anderen Menschen ähnlich geht. Durch das Zuhören habe ich für meine eigene Situation viel gelernt.“ Er steckt den Folder der Demenz-Beratung und einer Selbsthilfegruppe ein und kündigt an, mit Ingrid Ferstl einen Termin für ein längeres Beratungsgespräch zu vereinbaren.

 

Es war sehr interessant zu erfahren, dass es anderen Menschen ähnlich geht. Durch das Zuhören habe ich für meine eigene Situation viel gelernt.

Martin Huber
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