Autismus im Kindergarten

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30. März 2021
Ein inklusiver Kindergarten mit Kindern mit Autismus braucht klare Strukturen und weniger Sinnesreize. Das ermöglichen allen Kindern ein gemeinsames Gruppen-Leben.

Moritz bringt Claudia ein Kärtchen, auf dem etwas zu essen abgebildet ist. Er hat Hunger und kann das auf diese Weise ausdrücken. Für ihn ist das ein Erfolg. Diese Herangehensweise ist eine „andere Sichtweise auf die Kinder“, meint Claudia Narovnigg. Sie leitet den Kindergarten für Dich und Mich und die Krabbelstube Nido der Diakonie in Linz. Kinder im Autismus-Spektrum würden im Tagesablauf immer dasselbe machen. Klare Abläufe und Strukturen bilden Einschränkungen, die für die Kinder hilfreich sind, um sich im Gruppenleben zurecht zu finden und ihre Form der Freiheit ausleben zu können.

Vorteile für alle Kinder

Narovniggs vierköpfiges Pädagoginnen-Team hat mittlerweile ein halbes Jahr Erfahrung gesammelt. Soweit wie möglich, sind es immer dieselben Mitarbeiterinnen, die zu Bezugspersonen für die sechs Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren werden. Ihre ersten Erkenntnisse: „Wir können einen Raum für diese Gruppe sehr reizreduziert gestalten“, sagt Narovnigg: „Bereiche wie die Bauecke und die Puppenecke sind klar abgegrenzt, Spielwaren werden in Boxen verstaut, die mit Symbolen gekennzeichnet sind.“ Ähnliche Verhaltensweisen erleichtern das Eingewöhnen in eine Gruppe. Nach einem halben Jahr findet sich Moritz in der Gruppe schon gut zurecht. Mit einfachen Tagesplänen orientiert er sich und hantelt sich vorwärts. Symbole zeigen, wann Zeit zum Spielen ist. Die Kinder selber zeigen mit einem Kärtchen, dass sie zur Toilette müssen. Am WC zeigt ein Bildkärtchen, dass danach Händewaschen an der Reihe ist. Erste Erfolge werden bei den Kindern schon sichtbar: „Sie kommen auf uns zu, wenn sie etwas brauchen.“ Teile der Kommunikation laufen über Gegenstände, Symbole und Fotos. „Das hat den Vorteil, dass sich auch Kinder aus anderen Gruppen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, schneller einleben.“

Pionierinnen

„Ziel dieses Pilotprojekts ist, als Diakonie Anlaufstelle zum Thema Autismus für andere Kindergärten zu sein“, meint Claudia Narovnigg. Die Kinder sollen im Idealfall fit für ein Miteinander in einer Integrationsgruppe des Kindergartens werden. „Im Garten haben sie sich schon beim Spielen kennen gelernt“, erzählt sie. Geplant ist, im Laufe des Jahres 2022 eine Integrationsgruppe als Erweiterung des Pilotprojekts für junge Autistinnen und Autisten zu öffnen. Der Übergang in die Integrationsgruppe mit elf gesunden Kindern sei für die Pädagoginnen, für die elf Kinder und für die vier Kinder mit Autismus eine Herausforderung. „Von einem Raum mit weniger Reizen profitieren in unserer Zeit der Reizüberflutung alle Kinder“, sagt Narovnigg. Sie verortet ein Risiko für die Kinder, wenn sie in die Schule wechseln und dort die Reize nicht reduziert werden: „Diese Kinder sind darauf angewiesen, dass sie ein für sie passendes Umfeld erleben, um Überforderung zu verhindern und Lernen zu ermöglichen.“

Große Nachfrage

Das innovative Pilotprojekt ist aufgrund der steigenden Nachfrage entstanden: „Wir haben viele Anmeldungen für Kinder im Autismus-Spektrum erhalten und wollen ihnen eine passende Betreuung bieten“, sagt Narovnigg. Gleichzeitig zeigen Erfahrungen, dass die Betreuung von Kindern im Autismus-Spektrum selbst für erfahrene Pädagoginnen eine Herausforderung darstellt. Sie seien nicht von vornherein Expertinnen für den Umgang mit Kindern mit den unterschiedlichsten Ausprägungen und Formen von Autismus. Die Arbeit im Pilotprojekt ist zeitintensiv für die Pädagog:innen. Dazu gehören die Vorbereitung des Raumes und der Gruppenstunden, das Beobachten und Dokumentieren der Fortschritte der Kinder, gemeinsames Reflektieren und Weiterentwickeln des Projekts. „Es ist sinnvoll, dass es eine Fortbildung für alle Kindergartenpädagog:innen im Umgang mit Kindern im Autismus-Spektrum gibt“, meint Narovnigg. Eine Zusammenarbeit mit der Autistenhilfe Wien und mit dem Land Oberösterreich mache das möglich. „Unsere Gruppe soll eine Modellgruppe sein“, sagt sie: „Wir sehen uns als Multiplikatorinnen, die Pionierarbeit leisten und Platz für Praktikantinnen bieten.“

In der Autismus-Spektrum-Pilotprojektgruppe wird nach „TEACCH“, einem pädagogisch-therapeutischen Ansatz gearbeitet. „Treatment and Education of Autistic and other Communication handicapped Children“ bedeutet „Behandlung und pädagogische Förderung autistischer und in ähnlicher Weise kommunikationsbeeinträchtigter Kinder“. Eine Expertin vom Wiener Dachverband „Österreichische Autistenhilfe“ begleitet das Team.